INVENTRESS

Digital Painting on Canvas, any size . 2017

INVENTRESS . Facegraffiti . Karin2_0963 // MM_0029 // _MG_0014 // MM_0007 // MG_0027 // Marina R // Kasia_MG_0044 // Kasia_MG_0031

MM – INVENTRESS 1 + 2 + 3 + 4 . Performance . Digital Paint on canvas

NOVUM THEATRUM MUNDI . Anna Babka / Matthias Schmidt

Marianne Maderna entwirft mit ihrer Performance/Installation Humanimals or The Inventress of Wheels Act ein zeitgenössisches Welttheater, in dem sie die verschiedenen Stränge ihres vielfältigen künstlerischen Werkes auf opulente Weise zusammenführt. Sie erweitert dabei ihre feministische Kritik an hierarchischen Gesellschaftsstrukturen mit Überlegungen zur Rolle, Instrumentalisierung und ideologischen Anfälligkeit sozialer Medien in unserer Gegenwart – und führt vor, inwiefern das Spektakel, das so in den Blick genommen wird, in zunehmender Weise von archaischen Mustern und Ideologemen geprägt und getragen ist. Aus einer künstlerischen Perspektive interessiert sie sich entsprechend nicht nur für die Regeln und Inszenierungsformen des medialen Getöses, das von vornherein als spectaculum angelegt ist, sondern vielmehr dafür, wie dieses zu einem Spiegel für seine Betrachter*innen umfunktioniert werden kann, um Einsichts- und Reaktionsmöglichkeiten zu eröffnen. Führt man sich diese grundlegende Fragestellung vor Augen, so erweist sich der nicht auf Anhieb klare Titel als ausgesprochen präzise gewählt – und zwar in zumindest dreifacher Hinsicht: Zum einen deshalb, weil er die installativen Komponenten der Humanimals in scheinbare Disjunktion mit der Performance der Inventress setzt. Der Titel lädt so dazu ein, beide Aspekte getrennt zu betrachten, um implizit nach deren Bezogenheit aufeinander zu fragen – worauf später noch zurückzukommen sein wird. Obwohl dadurch auch eine Abfolge der Werkteile angedeutet wird (immerhin ist die Installation der Humanimals der chronologisch älteste Bestandteil des Werks, der zunehmend um Filmsequenzen, szenische Elemente, Sound, Text, und Live-Bemalungen erweitert wurde), ist es wichtig festzuhalten, dass beide Teile des Titels vollständig gleichberechtigt nebeneinander stehen. Sie tun das, weil die Bedeutungen der einzelnen Werkpartien sich nur aus einer gesamtheitlichen Interpretation erschließen, da diese weitestgehend aus einander hervorgegangen sind. Während die Großrauminstallation der von der Raumdecke herabschwebenden, bei Schwarzlicht bläulich leuchten-den, weiß lackierten Draht-Skulpturen vor allem Assoziationen zum barocken theatrum mundi weckt, knüpfen die szenischen Interventionen gezielt daran an und aktualisieren diese Konzeption auf ihre Weise. So wird die ältere Idee eines Welttheaters, das an die menschliche Vergänglichkeit erinnerte und jedem Wesen seinen Platz innerhalb einer göttlich verbürgten Ordnung zuwies,1 hier in direkten Austausch mit Akteur*innen gebracht, die dieses Modell gänzlich unmetaphorisch in eine Bühne umwandeln, sie betreten und für ihre Zwecke umfunktionieren. Die Vorstellung einer unverbrüchlichen sozialen Hierarchie wird so zunächst verräumlicht, durch piktogrammartige Charaktere ironisiert und zugleich in einen Spielraum verwandelt, der eine aktive Auseinandersetzung mit dem theatrum nicht nur vorschlägt, sondern aktiv vorführt. Erst vor diesem Hintergrund lassen sich die »Typen« der Humanimals annähernd einordnen: als spielerische Bezugnahmen auf eine ordo-Vorstellung, die soziale Klassen faktisch übereinander schichtet, ihre körperlichen Erscheinungsbilder mit ihren sozialen Möglichkeiten verschränkt und so ein Herrschaftsgebilde entwirft, das Machtpositionen mit einer buchstäblichen Angleichung an phallische Strukturen vorführt. Es ist nur eine der abgründigen Spitzen dieser Konstellation, dass die Figuren sich dabei nur auf recht spezielle Weise miteinander beschäftigen (indem sie sich voreinander verneigen, sich krümmen oder begatten), um sich vor allem in jene Gadgets hineinziehen lassen, die ihnen einen anderen, virtuellen Raum – neben, hinter oder über ihrer gesellschaftlichen Realität – zugänglich machen. Indem sie sich als Phalloide, Krawattidudes oder TV-Freaks aber diesem Weltwechsel anverwandeln, wirken sie an der determinierenden Typologie der Humanimals mit, die sie wie hybride Gewächse bevölkern.

Eine zweite Lektüre, die der Titel anbietet, versucht diese Entgegensetzung von Ordnung und Intervention noch zu vertiefen. Fasst man die Inventress als eine figürliche Alternative zur statischen Gesellschaftshierarchie auf, so legt sie den Schluss nahe, dass es aktive Umgangsformen mit all jenen Verwerfungen und Ungleichheiten braucht, wie sie aus dem Zerrbild der Humanimals notgedrungen hervorgehen: Entweder wird ein Gegenentwurf im Medium der Kunst erahnbar, oder der status quo intensiviert sich ungebremst weiter. An dieser Stelle wird die feministische und medienreflexive Stoßrichtung der Installation um eine harsche Kritik von hypermaskulinen Führerfiguren erweitert, die wie vorzeitliche Monstergestalten aus der trüben Masse der Marionetten geboren werden. Wie bereits die Bezeichnung der »Leviathane« nahelegt, wird aktiv auf das Register einer mythischen Weltauslegung zurückgegriffen – wobei offen gehalten wird, zu welchen Teilen die Selbstinszenierung dieser (mit Phallusköpfen gezeichneten) Führergestalten die scheinbar archaische Semantik benötigt – und zu welchen Teilen auch eine kritische Entgegnung auf Mythologeme angewiesen bleibt. Unzweifelhaft zielt das gesamte Arrangement Madernas hier auf die Frage, welche Bedürfnisse es sind, die sich über den Weg der mythischen Vereinfachung hier Ausdruck verschaffen – und weltweit auf eine radikale Weise politisch wirksam werden. Der Fokus auf die Möglichkeiten einer oppositionellen Entgegnung, einer wirksamen künstlerischen Reaktion, bildet insofern eine implizite Folgefrage, die ähnlich gewaltige Kräfte zu mobilisieren sucht, wenn auch im Sinne einer egalitären Neutralisierung der durchschauten Ungerechtigkeit und Unterdrückung.

Diese Ambivalenz des Mythischen, die zugleich den Einsatzpunkt der Kritik wie auch den möglichen Ansatz zu einer kritischen Selbstermächtigung darstellt, bildet sich auch in der Sprache Madernas ab: Teils persiflierend, teils nach Techniken der konkreten Poesie fortdichtend, werden primitivistische und fast schon dadaistische Laute, Lautfolgen und Worthülsen vorgeführt, die wie der freigelegte Subtext machtpolitischer Rhetorik erscheint. Dem lüsternen Gestammel und Gegrunze setzt Maderna eine sprachspielerische Aneignung dieser rohen Sprache entgegen. Immer wieder entwachsen den Banalitäten und Grobheiten so Neologismen, die sich sowohl humorvoll distanzieren als auch bereits Funken einer analytischen Kritik aufblitzen lassen. Die Folgerung Blumenbergs, wonach der »Schrecken, der zur Sprache zurückgefunden hat, schon ausgestanden [ist]«2, mag übertrieben sein – Madernas Sprachpraxis jedenfalls entwirft eine poetische Entwendung von Herrschaftscodes, die gleichermaßen dechiffrierend wie differenzierend wirkt. Wenn beispielsweise eine Staccato-Folge die Tugend des Mutes spielerisch zum Übermut führt, der sich als Mutant zu erkennen gibt, um dennoch die realistischere gesellschaftliche Position der eigentlich Sprachlosen innezuhaben – »MUT –MUTANTS – mute – mut(e)ants«3 –, dann entspinnt sich aus einer Wortfolge eine ganze Assoziationskette, die sich spielerisch als Verdeutlichung der animalischen Ohnmacht lesen lässt, die auch der Installation abgelesen werden kann.

Maderna bedient sich hier einer kompromisslosen Poetizität, die zwischen Diagnose, Anklage, Ridikülisierung und Appell schwankt, hin und her wechselt und in diesem Tanz grundlegende Zusammenhänge ausstellt. In jedem Fall aber bringt sie über die Sprachgrenzen hinaus ein »Feuer«4 ins Spiel, das die Raserei der Sprache in ihren Transformationen und Mutationen zu einem lustvollen Werkzeug gesellschaftlicher Kritik macht – doch nicht nur im Sinne eines politisch korrekten Ludismus, sondern vielmehr dadurch, dass sie die Bedeutungs(un)tiefe der Wörter erkundet, um die gleitenden Übergänge zwischen Wahnwitz und kühler Analyse, zwischen Lautmalerei und Mahnung auszuloten. Was so gezeigt wird, sind zwei grundverschiedene Codes: Der einer grunzenden, amorphen Masse – die mit ihren ratioïden Machtphantasien auf erstaunliche Weise dem gleicht, was Hélène Cixous als phallozentrische Bedeutungsökonomie5 beschrieb – und der einer Sprache, die in einer beständigen Überschreitung besteht; in einer Übertretung dessen, was über Nachrichtenkanäle längst zu gewohnt geworden ist und hier poetisch zum Überschwappen gebracht wird. Mit dieser Praxis verdeutlicht sie nicht zuletzt, dass noch die stumpfeste Sprache ent- und gegen ihre banale Stoßrichtung gewendet werden kann – ja muss. Denn nur so kann in dem kollektiven Lallen die wahnhafte Vereinfachung deutlich gemacht werden, sodass das Sprechen über dieses Sprechen eine apotropäische Qualität gewinnen kann. Dem Grunzen, der mythischen Selbstüberhöhung wird so nicht nur die eigene Funktionslogik vorgeführt, sondern auf humorvolle Weise Bannworte entwickelt, die den Code der »Leviathane« kapern.

Dass es sich bei dieser Arbeit um eine schier unendliche Aufgabe handeln muss, verdeutlicht eine dritte Ebene des Titels: Sowohl der amalgamierte Ausdruck der Humanimals als auch der Verweis darauf, dass es sich bei der Erfinderin des Rades vermutlich um eine Frau gehandelt hat, koppelt die Gegenwart der Performance mit einer schier unüberblickbaren Ahnenreihe, die in graue Vorzeiten zurückreicht. Die Absicht ist dabei weniger, dass dieses Widerspiel den Anschein einer anthropologischen Konstante erhält. Eher geht es darum, die Größenordnung der hier vorgeführten Strukturebenen zu veranschaulichen, deren Wirkungsweise tief in die Geschichtswahrnehmung, das Gesellschaftsgefüge und die sprachliche Organisation eingesenkt ist. Wie von selbst ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise eine (mittlerweile ebenfalls fast anachronistische) Fortführung von elementaren Techniken der écriture feminine, die sich in analoger Weise als »Vorbotin einer Umgestaltung der sozialen und kulturellen Strukturierungen« sah6, indem sie das hervortreten lassen wollte, »was vom Symbolischen abgetrennt wurde«.7. Maderna erweitert diesen Ansatz in ihrem Welttheater allerdings um zahlreiche Ausdrucksformen, um die Möglichkeiten zur Transgression überkommener Codes weiter zu treiben. Ihre Bemalungen – Akte der Maskierung und Umwandlung in situ – bieten sogar dem Publikum die Gelegenheit, Teil des Geschehens zu werden, sich einer anderen Identität zu bedienen und so neue Rollen zu erproben. Der Absurdität der politischen Realität setzt sie damit künstlerische Rituale entgegen, die ihre Wurzeln in amazonischen Bemalungen und Trancetänzen des Voodoo haben. Gemeinsam mit den Göttinnen Inanna, Kali, Ishtar und Shakti entsteht so eine Phalanx an gleichermaßen mythomorphen Gegenstrategien, die auf lust- und humorvolle Weise einen anderen Wissensvorrat mobilisieren wollen. Diese Techniken des gleichsam mythischen Konterns geben zwar keine klaren Handlungsanweisungen oder luzide Analysen, doch legen sie auf schonungslose Art die Funktionsweise eines gesellschaftlich-politischen Subtextes offen.8 Genauso, wie die Figur der Inventress eine vieldeutige Märchenfigur bleibt, die das kastrierte Maskulin-Brachiale auf eine grüne Wiese führt, changiert das gesamte Ensemble zwischen einer demaskierenden Fragestellung, Ansätzen zu einem poetischen Apotropaion und einer barschen Parodie – und bleibt dabei stets ein beeindruckendes theatrum aus Sound, Installationen und Performance. In diesem komplexen Gefüge darf daher nicht vergessen werden, dass die gesamte Inszenierung vor Ironiesignalen nur so strotzt, die beide Seiten, das mythisch Dunkle wie auch die Inventress, gleichermaßen treffen. Es ist das Gelächter, das zugleich schonungslose Offenheit und Hoffnung zusammenführt, Selbstironie und beißende Kritik. Getragen wird Humanimals or The Inventress of Wheels Act daher von der Hoffnung auf einen Ausbruch, einem Ausbruch aus allzu gewohnten, konventionell verankerten, »phalloiden« Ideologien und Sprechweisen, was notwendigerweise einer radikalen, groben, vielfach codierten Sprache bedarf, denn – mit Cixous: »Ich arbeite nur an dem Untersagten (das macht meine Texte schwierig).«9