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Vertikale Menschheit . Konzepte weiblichen Genies und der multitude

Es gibt eine Anekdote, die berichtet, Beethoven habe auf die Frage, was ihn zum Komponieren treibe, geantwortet: Wut. Die Wut, der Zorn und das Zürnen waren bis zu dem Moment, in dem Sloterdijk seine thymologische[i] Analyse Zorn und Zeit zu schreiben begonnen hat, als alttestamentarische Gebärden eines patriarchalen Gottes nicht besonders hoch im Ansehen gestanden. Neuerdings ist also das Motiv der Wut wieder rehabilitiert, man könnte sagen: nobilitiert. Verfolgt man ein wenig die Spur der Wütenden und Zornigen in der Geschichte, stößt man, neben den zornigen Göttern und Heroen, die bereits die bürgerliche Attitüde eines beleidigten Direktors angenommen haben, unvermeidlich auf die vom furor Ergriffenen, die energoumenoi, die furiosi. Spätantike und Renaissance bevorzugen eine eigentümliche Verfassung, die man als „Abgefahrensein“ übersetzen könnte. Der furor stellt die wütende Begeisterung dar, die das von ihr betroffene Individuum zu einer intensivierten Wahrnehmungsform bringt. Diese katapultiert das Individuum in das Reich der Allgemeinheit hinein, bis ins Absolute. Jedenfalls fühlen die furiosi und berichten, dass dort, wo das Ich war, das Göttliche eingezogen sei. Man gerät durch diese Wut dergestalt außer sich, dass man dabei ins große Andere hineingerät. Dieses große Andere wiederum bildet die Quelle einer Inspiration. Dieser höchste Kontakt macht aus dem gewöhnlichen Sterblichen ein Genie. Das Genie ist Prophet, Medium, Intimfreund des Universalen, Absoluten. Wie wir sehen, bringt man sich in Fahrt, also, dass der Zorn die Frage nach einer (anti-depressiven) Erregungstechnik betrifft, mittels derer das Hinausfahren auf das Meer der kollektiven Wahrheiten möglich wird. Wie aber, das ist die Frage, die uns im Falle Beethovens nicht beantwortet worden ist, bringt man sich in Fahrt?

Es gibt ein Buch aus Wien, das in Betreff dieser Frage zumindest den Frauen Entwarnung signalisiert. Sie bräuchten sich über derlei Fragen nicht den Kopf zu zerbrechen, da sie unfähig zur höheren Wut und zum Genie seien. „Genialität offenbart sich hier bereits als eine Art höherer Männlichkeit; und darum kann W nicht genial sein“.[i] „Von jener Genialität aber, die, bei allen oft sehr tief gehenden Unterschieden zwischen den einzelnen Genies ein und dieselbe bleibt und, nach dem hier aufgestellten Begriffe, überall manifestiert werden kann, ist das Weib ausgeschlossen.“[ii] „In der Heldenanbetung des Mannes kommt abermals zum Ausdruck, dass Genialität an die Männlichkeit geknüpft ist, dass sie eine ideale, potenzierte Männlichkeit vorstellt; denn die Frau hat kein originelles, sondern ein ihr vom Manne verliehenes Bewusstsein, sie lebt unbewusst, der Mann bewusst: am bewusstesten aber der Genius.“[iii]

Otto Weiningers vielzitierte Thesen bilden bereits den Anlass für ein weibliches wütendes Ausfahren. Der Zorn, der sich hier einstellen muss, ist der gerechte, der die engen Grenzen des Denkens, in dem sich etwas von der Art des Zitierten zusammenbraut, auf befreiende Weise in die Luft sprengen muss. Kommt da schon weibliches Genie auf? Ein nicht geringer Teil weiblicher Motivation (man muss der Ehrlichkeit halber auch sagen: Demotivation) resultiert aus der Irritation, die männliche Thesen zur weiblichen Bewusstheit auslösen. Die Frage „Zorn wozu?“ lässt sich da leicht beantworten. Kein geringer Teil des weiblichen Engagements in der jüngeren Vergangenheit war als politischer Schlag, als Löcken wider den Stachel, als Performance im Komparativ angelegt. Zorn war hier das ideale Mittel, um die Freiheit in weiblicher Gestalt auf die Barrikaden steigen zu lassen. Der gerechte, ideale und wahre Zorn versorgt alle Fahrzeuge, selbst die skurrilsten, zum Abfahren mit ausreichender Energie. Während aber im Falle der beschriebenen männlichen Begeisterung nicht nur Irritation, sondern mindestens im gleichen Maße ein von außen Anziehendes, das hohe Ideal, der Imperativ, der Name des Vaters die Aus- oder Abfahrt begünstigte, ist für den weiblichen Enthusiasmus das Äquivalent noch nicht genannt. Zweifelsohne aber verfügt die Göttin neben dem Zorn, der sie wie die kriegerischen Stammesmütter in den Harnisch steigen lässt, über weitere Möglichkeiten, die aus dem Lot geratene Situation zurechtzurücken.

Als Beispiele solcher Möglichkeiten möchte ich zwei mythische Episoden anführen, die, so hoffe ich, ein Licht auf die Weininger so sehr verschlossen gebliebene Form des weiblichen Genies werfen werden. Die erste Episode ist die „historisch“ jüngere; sie handelt von Rhea, Gattin und Schwester des Chronos. Dieser pflegte jährlich die Kinder zu verschlingen, die ihm Rhea gebar: zuerst Hestia, dann Demeter und Hera, dann Hades und schließlich Poseidon. Was geschieht? „Rhea war voll Zornes“, schreibt Ranke-Graves[i]. Nachdem sie aber Zeus das Leben geschenkt hat, will sie sich nicht mehr der Kinderfresserei ihres Gatten fügen und greift zu einer List. Sie drapiert einen Stein in eine Windel und reicht ihn dem Chronos dar; dieser verspeist tatsächlich das lithopaidion. Später braut Rhea konspirativ mit ihrem inkognito zum Mundschenk seines Vaters aufgestiegenen geretten Kind, mit demselben Zeus, einen wirksamen Trunk, dem nach Auskunft von Hesiod neben Honig Senf und Salz beigemischt sind. Der Vater erbricht nach dem Genuss desselben zuerst den Stein und dann die verschlungenen Kinder. Sie, so heißt es, sprangen unverletzt hervor.

Ist dieses Beispiel geeignet, die weibliche Genialität zu begreifen? Rhea handelte wohl aus Zorn, aber eher noch aus Rachsucht, die nicht die begeisterte Wut zulässt, sondern niedrige Wünsche eingibt, Zeus Schaden zuzufügen. Die Handlungen, die Rhea einfädelt, sind so angelegt, dass sie am Ende nicht nur gerechtfertigt ist oder Satisfaktion erlangt, sondern vollkommen integer dasteht. Die gefressenen, aber wohlbehalten wieder ausgespienen Kinder wählen den schlauen Zeus zum Anführer im Krieg gegen die Titanen, was heißt, dass am Ende um Beträchtliches mehr an Angenehmem und Schönem auf dem Konto der glorreichen Mutter zu verbuchen sein wird als noch vor den kritischen Taten des Gatten. Thomas Macho hat in einer kleinen Arbeit darauf hingewiesen, dass der Kult des Lithopaidions in Delphi überhaupt eine andere Lesart der Kinderfresserei und -Speierei nahe legt. Rhea sei nämlich in einer Art Schizotherapie für ihren Gatten tätig geworden, indem sie, das Symptom richtig entziffernd, ihm zu einer Gelegenheit verhalf, seinen Gebärneid zu kompensieren. Sie gab ihm die Kinder zu fressen, versäumte aber auch nicht, das entsprechende Brechmittel zum Nachtisch zu verabreichen, so dass nach der Inkubationszeit oder Schwangerschaft, während Chronos die Kleinen in seinem Bauche bewahrte, er schließlich zur Niederkunft kam. Damit verhalf die kluge Rhea dem Missverhältnis der Geschlechter zu derjenigen Symmetrie, die von Lévi-Strauss als die in der „Struktur“ ausgedrückte symbolische Leistung der Kulturen bezeichnet wird. Ihr Zorn gibt Rhea eine überlegene Idee, die der schönste und adäquate Ausdruck für dasjenige ist, was man als Intelligenz bezeichnet. Sie durchschaut die Lage, ana- und katalysiert sie; sie wendet die Tragödie so, dass man schließlich nicht nur über den von den Wehen der Übelkeit gebeutelten Chronos lacht, sondern voraussieht, wie sich nach dem Ereignis die Familie wieder im Lot befindet. Mit Rheas Tat wurde ein Kult gestiftet, welcher als Höhepunkt eine feierliche Zeremonie hat, während derer der Stein mit ungesponnener Wolle bedeckt wird. Die Wolle symbolisiert die göttliche Windel. Rheas Genie besteht darin, dass sie leicht den allgemeinen Sinn der Situation findet und verwertet; sie bedarf keiner prophetischen Begeisterung, keines enthousiastischen Anfalls, keiner Teilnahme an der plasmatischen Intelligenz eines Über-Wesens, um zu ihren Schlüssen zu gelangen. Sie handelt immer aus eigenen Stücken. Diese Form des Genies nennt man List.

Diese Form der Intelligenz ist nicht Frauen vorbehalten. Aber es kann dennoch mit Hilfe der List eine Typologie weiblichen Bewusstseins skizziert werden. Um zu präzisieren, wie ich das meine, greife ich zu einem weiteren Beispiel. Es entstammt einem sumerischen Text, der auf etwa 2000 v. Chr. datiert ist. In ihm wird eine Episode aus dem Leben einer Göttin beschrieben. Diese ist Inanna, die Königin des Himmels und der Erde. Inanna stattet als junges Mädchen ihrem Vater, dem Gott der Weisheit, Enki, einen Besuch in seinem Schrein ab. Sie trinken sehr viel Bier zusammen und prosten sich zu. Der betrunkene Enki gerät schließlich derart in Fahrt, dass er Inanna seine Macht, deren Insignien und die menschlichen und göttlichen Künste und Einsichten übergibt. Er tut dies, indem er Inanna immer wieder zuprostet und spricht:

„In the name of my power! In the name of my holy shrine! To my daughter Inanna I shall give Truth! Descent into the underworld! Ascent from the underworld! The art of lovemaking! The kissing of the phallus!“ Inanna replied: „I take them!“

Enki wiederholt vierzehnmal seine großzügigen Angebote, bis er so gut wie alles, was er hatte, an Inanna ausgehändigt hat. Inanna belädt das Himmelsschiff mit den Gaben und segelt von dannen, während der ernüchterte Enki seine Sklaven zu sich ruft und sie nach dem Verbleib seiner Macht und deren Insignien frägt. Deren Antwort lautet wahrheitsgemäß:

„My king has given them to his daughter.“

Enki bereut seine Großzügigkeit. Um seine Macht zurückzugewinnen, lässt Enki das Boot verfolgen, er ruft Drachen herbei, damit sie das Boot zum Kentern brächten. Inanna entsetzt sich über den Wortbruch ihres Vaters, aber sie erreicht glücklich das vom Hochwasser überflutete Uruk. Dort erwartet sie schon das Volk und sie entlädt das me, das ihr Vater ihr überreicht hat. Im Text heißt es: „Then more me appeared – more me than Enki had given Inanna. And these, too, were announced, And these, too, were presented to the people of Uruk: Inanna brought the me: She brought the placing of the garment on the ground. She brought allure. She brought the art of women. She brought the perfect execution of the me. She brought the tigi- and lilis-drums. She brought the ub-, the meze-, and the ala-tambourines …“[i]

Es gibt mehrere Geschichten, in denen Frauen die Insignien oder Fetische der Macht ihres Vaters an sich bringen können. Man denke an die Geschichte von Rachel, die – auch sie eine Listige – ihren sie stellenden Verfolgern beibrachte, es gehe ihr „nach der Frauen Art“, weshalb sie unmöglich vom Esel absteigen könne. Für ihre Verfolger war sie „unrein“ und unberührbar, weshalb sie nicht nachsehen konnten, ob etwa Rachel die Hausgötter unter ihrem Eselssattel verborgen habe. Im Falle Inannas hat der betrunkene Vater in groß aufgetragenen Worten in der Hoffnung, seiner Tochter mit seiner Machtfülle zu imponieren, unversehens ein Vermächtnis gemacht. Dass die Tochter, nach dem Positionswechsel in die Mächtigkeit, sofort die ödipale Symbiose unterläuft und ihr eigenes Imperium gründet, mag überraschen, findet aber schließlich sogar den Beifall des düpierten Vaters, der nichts Besseres mehr tun kann, als seinen Segen dazu zu geben:

Er sagt: „In the name of my power! In the name of my holy shrine! Let the me you have taken with you remain in the holy shrine of your city, Let the high priest spend the days at the holy shrine in song. Let the citizens of your city prosper, Let the children of Uruk rejoice.“[i]

Das Eindrückliche an der Geschichte von Inanna ist, dass sie, als sie das Himmelsschiff in Uruk am Lapislazuli-Gestade entlädt, mehr me vorfindet, als sie am Schrein ihres Vaters hineingetan hat. Sie entlädt gewissermaßen ihre eigenen Künste gleich mit. Mit dieser beinahe selbstreflexiven Wendung wird die jugendliche Göttin darüber aufgeklärt, dass sie sich nicht auf die vom Vater überkommenen Kleinodien zu beschränken braucht. Ihr Genie besteht darin, dass sie gelegentlich der männlichen Übertragung das Introjekt nicht mit dem Umfang ihres eigenen Fassungsvermögens gleichsetzt, d.h. dass sie auf ihre eigene Ladung stößt. Sie beginnt also sofort mit ihrer Reichsgründung und nützt dazu die doppelte Legitimation, die von dem Erbe des Vaters in Verein mit der eigenen Kompetenz gebildet wird.

Die Parabel, die diese Geschichte erzählt, schlägt einen Bogen um die im Patt erstarrte Geschlechterfrage, die nicht weiter voran getrieben und mit neuen Mitteln ausgefochten wird, sondern selbst zum Gegenstand einer listenreichen Kunst mit allure wird.

Die Parabel, die diese Geschichte erzählt, schlägt einen Bogen um die im Patt erstarrte Geschlechterfrage, die nicht weiter voran getrieben und mit neuen Mitteln ausgefochten wird, sondern selbst zum Gegenstand einer listenreichen Kunst mit allure wird.

Marianna Maderna beschäftigt sich seit längerem mit den Vielen, mit der multitudo.

Sie entwirft, sprach-, schrift- und bildgestützt, Strukturen einer Vergesellschaftung, die einmal das Oszillieren zwischen Ich und Du und zum zweiten das Zusammenwachsen zu einer Vielheit – auch in Wiederholung und Kopie – zu ihrem Gegenstand hat. In ihrem Projekt ONE TO zeigte sie aus Formrohr gebogene menschliche Silhouetten, mit Leuchtpigment beschichtet. Diese verhielten sich zueinander im Raum, indem sie sich auch im Dunkeln leuchteten. Dieses sich zueinander Verhalten könnte mit Recht als Ursprung der Plastik bezeichnet werden, als sozialer Somnabulismus (durch welchen Gabriel de Tarde die soziale Compassion begründet sah) oder als soziale Plastik (wie Beuys vorgeschlagen hat). Die Multitudo hat bei Maderna nicht ihre Wahrheit in den übersichtlichen Massen (die dann paternalisch dirigiert werden), sondern in einem Ich, das sich selbst als Silbe in einem Abzählreim betrachtet. Von Ich zu Du und noch einmal von Ich zu Du und so weiter zählt das Staccato der ONE TO Poesie, wie ein Rap. Die soziale Leistung dieser Kunst besteht darin, dass sie hinweist auf das „Dorthin“ – auf einander zugehen, einander treffen. Die Skulptur ist am Scheitel geteilt. Es entstehen dadurch zwei Hälften, welche, wie ein Umspringbild, eine Vorder- oder Rückansicht ergeben können.

“A ONE a TO – a ONE a TO (…) and trust thee – and trust thee the ME the thee – the ME the thee to be and be – and be and be”

Sie zählt nur bis „ZWEI“ (es folgt nicht: a one a to a three a four). Ich und Du werden solange wiederholt, bis eine Vielheit entsteht, die dem Ich-Du-Raum nicht entglitten ist. Immer wird alles, werden alle auf die Gründerin zurückbezogen. Das erinnert an die Gründungshandlung der Inanna, die beim Nachzählen ihrer Gaben erst entdeckt, dass es mehr sind, als sie dachte.

In einer neueren Arbeit türmt Marianna Maderna die Gezählten zu einer Art Trajanssäule auf, zu einem sich in die Höhe rollenden Zug von nach oben hin immer leichter werdenden menschlichen Silhouetten. Diese „vertikale Menschheit“ ist absolut transparent, vollkommen erfassbar, von allen Seiten einsehbar. Sie repräsentiert exakt das Ideal einer Vielheit, die im Einzelnen erfasst werden kann, auch wenn das Aneinander der Einzelnen in der Vielheit sie in eine Art Ornament verwandelt. – Ein Ornament zur bisherigen Menschengeschichte?  – Wäre In einer weiteren Folge verwandelbar, veränderbar, – zum „schönen“ Monument, in Inannas Reich?        

Elisabeth von Samsonow . Künstlerin und Philosophin.

Textauszug: Historysteria, SpringerWienNewYork . 2008 . ISBN 978-3–212-77582-2